Epigramm und Satire: Weisheit, Witz, Kritik

Epigramm und Satire: Weisheit, Witz, Kritik
Epigramm und Satire: Weisheit, Witz, Kritik
 
Das Epigramm ist eine uralte griechische literarische Form. Ursprünglich war es eine »Aufschrift« auf einem Stein, als Weih-, Grab- oder Ehreninschrift; die Aussagen mussten auf kleinem Raum untergebracht werden; von daher hat das Epigramm die Tendenz zur Kürze und Prägnanz, aus der sich bald die witzige Pointe entwickelte. Zur besseren Einprägung waren die Epigramme im allgemeinen in Versen abgefasst, und hier setzte sich das elegische Distichon immer mehr durch. Seit dem Hellenismus bis in die byzantinische Zeit schrieb man literarische Epigramme auch für Bücher; als Themen kamen jetzt das Erotische, Menschentypen und das Symposion (Gastmahl) hinzu; Epigramme wurden in stets wachsenden Sammlungen zusammengestellt; sie sind letzten Endes in die großen Sammlungen der Anthologia Palatina (980 n. Chr.) und Anthologia Planudea (1299 n. Chr.) eingegangen und dort überliefert.
 
In Rom ist als Epigrammdichter besonders zur Zeit des Kaisers Domitian Martial aus Bilbilis in Spanien hervorgetreten. Die Palette der Inhalte Martials ist sehr reich: Wir finden die herkömmlichen Weihe-, Grab-, Symposions- und Liebesgedichte, allerdings nicht selten in entstellter Form; so erscheint bei ihm die übliche Bitte, einem Toten solle die Erde leicht sein, bei einer Kupplerin mit dem Zusatz »damit die Hunde ja deine Knochen ausscharren können« - kam es ihm doch sehr auf die Pointe an. Er lobte Domitian wie auch seine Freunde und Gönner. Seinem erbarmumgslosen Spott ist die großstädtische Gesellschaft im Rom seiner Zeit ausgesetzt. Er zielte auf alle Formen menschlichen Fehlverhaltens, aber auch auf körperliche Gebrechen und soziale Erbärmlichkeit, wie sie etwa schäbiges Umzugsgut samt einem rinnenden Nachttopf verrät. Durch seine Epigramme, sagt er, »soll das Leben (Roms) seine eigenen Sitten erkennen«. Wo er der Frage nach den Werten im menschlichen Leben nachgeht, tritt sein Epikureismus zutage. In dieselbe Zeit dürften die »Priapea«, eine Sammlung von Epigrammen, anzusetzen sein; in ihr deutet der Gartengott Priapus das menschliche Treiben aus seiner phallischen, Kraft und Fruchtbarkeit symbolisierenden Sicht.
 
Die Satire ist eine literarische Form, die ganz den Römern gehört, sagt voller Stolz Quintilian, Professor der Rhetorik am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr., im 10. Buch seines Lehrbuches der Beredsamkeit, der »Institutio oratoria«. Die Satire hat zwar dem Epigramm verwandte Inhalte, aber doch einen anderen, weiteren Themenbereich. Sie ist nicht vom Satyrspiel herzuleiten, das als Burleske den attischen Tragödien folgte, sondern von »Satura«, einer römischen Speise mit vielen Ingredienzien, bietet also »vermischte Betrachtungen«. Schon Ennius hat »Saturae« geschrieben; eine Vorstellung können wir uns erst von denen des Lucilius machen; von seinen an die 30 Büchern sind allerdings nur Fragmente erhalten. Nach der Verwendung anderer Metren blieb er dann beim Hexameter, der seitdem mit der römischen Satire verbunden ist. Lucilius hat das römische Leben auf der Suche nach Orientierung selbstständig kritisch durchleuchtet, nahm zu sexuellen Fragen, zu Politik, Literatur, Philosophie und Religion als ein aufgeklärter Gebildeter Stellung, der dem Scipionenkreis nahe stand; er scheute sich aber auch nicht, Personen namentlich anzugreifen. Von der »Satura Menippea« des gelehrten Varro aus Reate im Sabinerland ist uns wenig erhalten. Er hat nach dem Vorbild des Menippos von Gadara, der nach 300 v. Chr. starb, das Prosimetrum, die Mischung aus Prosa und Dichtung, in die römische Literatur eingeführt.
 
Dem Lucilius folgt in kritischer Distanz Horaz in seiner Satirendichtung in zwei Büchern, die bei ihm die Bezeichnung »Sermones« (»Gespräche«) tragen. In ihnen greift er niemanden persönlich an. Er lässt uns an vielen Situationen seines Lebens teilnehmen, schildert sie mit freundlicher, auch schalkhafter Kritik, stellt uns nicht selten vor die Frage einer Bewertung, sagt uns aber auch, wie und warum er sich so und nicht anders entschieden hat. Der Plauderton, in dem die Gedichte bewusst gehalten sind, täuscht nicht über den Ernst der Frage nach der Lebensführung hinweg. Man kann zu den »Sermones« die zwei in Hexametern verfassten Bücher »Episteln« aus einer viel späteren Schaffensperiode des Horaz stellen; in ihrem ersten Buch geht es auch um die Fragen der Lebensgestaltung, das zweite ist ganz Horazens Reflexionen über die Dichtkunst gewidmet. Von Persius haben wir sechs Satiren, in denen er sich wie Horaz von Lucilius absetzt, aber noch stärker das philosophische, stoische Element wirksam sein lässt. Seine feinsinnig-schwierigen Gedichte wurden von den Zeitgenossen sehr bewundert.
 
Der Dichter, der die moderne Auffassung von Satire am stärksten geprägt hat, ist Juvenal; er verfasste Satiren nach 100 n. Chr. in seiner zweiten Lebenshälfte. Im Gegensatz zum feinsinnigen Persius ist er ein radikaler Moralist mit grimmigem Humor. Ihn macht, wie er sagt, die Entrüstung zum Dichter. Unermüdlich und ohne Differenzierung geißelt er in seinen 16 Satiren die Laster Roms vor allem in der Oberschicht, malt ihr Fehlverhalten mit groben Zügen wie zum Beispiel das der Messalina, der Gemahlin des Kaisers Claudius, wie sie sich nachts ins Bordell schlich, um sich dort hinzugeben; als letzte verließ sie ihre Kammer, erschöpft von den Männern, doch nicht gesättigt. Immerhin findet Juvenal an anderer Stelle auch für die zermürbende Tätigkeit des Redelehrers Worte: »Der immer wieder durchgekaute Kohl bringt die armen Lehrer um.« Seine erstaunliche rhetorische Fähigkeit nähert viele seiner Satiren der kynisch-stoischen Sittenpredigt an. Er erfreute sich in der Spätantike und im Mittelalter großer Beliebtheit.
 
Prof. Dr. Hans Armin Gärtner/Dr. Helga Gärtner
 
 
Dihle, Albrecht: Die griechische und lateinische Literatur der Kaiserzeit von Augustus bis Justinian. München 1989.
 Kähler, Heinz: Rom und seine Welt. Bilder zur Geschichte und Kultur, 2 Bände. München 1958-60.
 
Römische Literatur, herausgegeben von Manfred Fuhrmann u. a. Frankfurt am Main 1974.

Universal-Lexikon. 2012.

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